Pazifikküste

Einen Tag nach dem ursprünglich avisierten Auslieferungsdatum treffen meine neuen Michelin Anakee Wild Reifen beim Motorradgeschäft ein und zeigt mir einmal mehr, dass Chile kein typisches Südamerikanischen Land ist.

 

Natürlich freue ich mich darüber und bewege die Honda um 16.00 Uhr zur Werkstatt für die Montage.

 

Luis erwartet mich bereits und die Enduro kommt sogleich auf die Hebebühne und los geht es.

 

Luis arbeitet exakt und sorgfältig und so dauert es zwei Stunden bis die Felgen neu ummantelt sind und im neuen Glanz erstrahlen. Das betrifft auch die neue D.I.D Kette, die nach einer Anpassung jetzt für den Antrieb sorgt.

 

Beim Bezahlen merke ich ebenfalls, dass Chile in einer anderen Preisliga in Südamerika liegt und vermutlich ist dies die teuerste Bereifung, die ich auf dieser Reise montiert habe.

 

Nun hoffe ich, dass die Anakee Wild nochmals so lange halten, wie bei meiner Reise von der Mongolei in die Schweiz.

 

Abends packe ich meine Sachen zusammen und bin froh, dass es Morgen weitergeht.

Frisch getankt verlasse ich Antofagasta auf der Küstenstrasse Nr. 1 in Richtung Norden.

 

Beim Stadtausgang lege ich einen kurzen Fotostopp beim Nationaldenkmal La Portada ein. Dabei handelt es sich um eine Steinformation, die durch die Natur zu einem Bogen geformt wurde.

 

Eine Stunde später verläuft die Strasse dem Meer entlang und bringt mit der frischen Brise vom Pazifik ein wenig Abkühlung.

 

Die unzähligen Minen und Schiffsverladestationen für ihre Produkte plus der daraus entstehende Lastwagenverkehr trüben jedoch das Landschaftsbild und meine Fahrt bis nach Tocopilla, wo ich übernachte.

 

Die Stadt ist geprägt von der riesigen Verladestation für die Minenprodukte und anderen Industriewerken und lädt zu keinem längeren Aufenthalt ein.

 

Meine Unterkunft entpuppt sich dagegen mit ihrem kleinen Innenhof und Dachterrasse als Oase im trüben Ortschaftsbild. Und der Sonnenuntergang lässt sogar die Industrieanlagen in einem guten Licht erscheinen.


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Die heutige Strecke ist länger als üblich und mit der verlassenen Salpetermine Humberstone liegt ein Museum auf der Route, welches ich mir gerne ansehen möchte.

 

Ich starte deshalb früh und komme dadurch in den Genuss der Morgenfrische, die sich wohltuend zwischen meinen Motorradklamotten einnistet.

 

Zwischen Tocopilla und Iquique verläuft die Nr. 1 eingeklemmt zwischen hohen Bergen und dem Meer.

 

Entlang der Bergkämme verlaufen riesige Sandfelder, was die Dimension der 500 Meter hohen Hügel noch grösser erscheinen lässt.

 

Auf den nahen Felsen im Meer tummeln sich in regelmässigen Abständen unzählige Pelikane und andere Vogelarten. Ich halte dann jeweils an und halte Ausschau nach Seelöwen. Jedoch ohne Erfolg.

 

Einige Kilometer vor Iquique wir die Landschaft flacher, was für eine weitere riesige Schiffsverladestation genutzt wird.

 

Iquique liegt längsgezogen am Meer, weil eine grosse Sanddüne und ein dahinter liegender Berg das Wachstum in die Breit stark begrenzt.

 

Die Stadt als solches interessiert mich nicht, weshalb ich bei der Stadteinfahrt gleich nach rechts abbiege und auf einer steilen Strasse hinter der Sanddüne hinaufbrause um kurz danach auf die Strasse zum 500 Meter Berg hinauf abzubiegen.

 

Die Aus- und Weitblinke über die Stadt und die dahinter liegende Düne sind dabei einmalig.

 

Oben auf dem Bergplateau liegt die Ortschaft Alto Hospicio. Die Stadt wurde in letzter Zeit häufig in den europäischen Medien genannt, weil in ihrer Wüstenumgebung tonnenweise Kleider aus der ganzen Welt illegal entsorgt werden.

 

Entsorgt heisst hier, die Kleider werden einfach in die Wüste gekippt und dann der Natur überlassen. Weil die Texilien häuft aus Kunstfaser bestehen und mit Chemikalien behandelt sind, ist dies für die Umwelt ein grosses Problem.

 

Gemäss den Angaben der Stadt Alto Hopicio ist ihnen wegen Geldmangels nicht möglich, gegen die illegale Entsorgung vorzugehen.

 

Wo sich diese Kleiderberge befinden, ist schwierig herauszufinden. Über Google Earth und den Zeitungsberichten konnte ich jedoch ungefähr eruieren, wo sie sein könnten.

 

Ich versuche deshalb mein Glück und holpere alsbald auf sandigen Schotterpisten durch zwielichtige Quartiere. Mein Erkundungstour wird jedoch durch einen grossen Sandhügel gestoppt. Die Piste verläuft zwar darüber, jedoch besteht sie ab hier nur noch aus Sand.

 

Bevor ich da steckenbleibe, breche ich besser meine Suche nach den Kleidermüllbergen ab und kurve weiter ins Landesinnere zur verlassenen Mine Humberstone.

 

Mittlerweile ist es Nachmittag und der Wind erwacht und stürmt über die Wüste. Dabei nimmt er viel Sand und Müll mit und verteilt diese überall, auch auf der Strasse.

In diesem luftigen Umfeld gelange ich zur Mine und parke die Honda vor dem Eingang.

 

Kaum habe ich meine Jacke abgezogen, brummen zwei weitere Enduros auf den Parkplatz. Ich erkenne eine KTM 690 und Huski 701 und weiss dadurch gleich, dass dies zwei Motorradreisend sind, da solche Motorräder hier niemand sonst fährt.

 

Sie sehen mich ebenfalls und fahren zu mir rüber. Es stellt sich heraus, dass sie aus der Schweiz kommen.

 

Sie haben in der unweit entfernten Ortschaft eine Unterkunft gefunden und nutzen die verblebende Zeit für einen Besuch der Mine.

 

Das erklärt, wieso sie in Shorts, T-Shirt und Sonnenhut dastehen und auf den Motorrädern kein Gepäck ist.

 

Wir tauschen uns aus und gehen dann zusammen auf einen Rundgang durch die grossen Minenstadt. Ausser uns sind kaum Besucher anwesend, weshalb sie ihre Drohne für Videoaufnahmen fliegen lassen.

 

In einer der klapprigen Industriehallen lassen sie die fliegende Kamera erneut in die Lüfte und wir machen ein gemeinsames Foto. Coole Sache.

 

Wir stöbern eine Weile durch die alten Hallen und staunen einmal mehr, wo wir trotz prekärem Zustand überall hineindürfen.

 

Humberstone war bis in die 1940 Jahre eine bedeutende Salpertermine und wurde schlussendlich 1961 geschlossen und verlassen.

 

Anfangs der 70 Jahre wurde die Geisterstadt zum Nationalen Monumenten in Chile erklärt, was die Plünderungen von Holzbalken und anderen Materialien etwas stoppte.

 

Seit 2005 gehört die Anlage zum UNESCO Weltkulturerbe und wurde zeitgleich auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt.

 

Ich verlasse die Anlage etwas früher als meine Schweizer Begleiter, da ich mit meinen Enduro Stiefeln und Motorradhosen sind wirklich für eine weitläufige Besichtigung gerüstet bin.

 

Wieder auf der Honda steure ich die naheliegende Tankstelle an und genehmige mir erst einmal einen Kaffee und etwas zu essen.

 

Beim anschliessenden Tanken tauchen die beiden Schweizer von der anderen Seite auf und wir quatschen nochmals eine Weile.

 

Bevor ich meine Unterkunft in der 50 km weit entfernten Siedlung Huara ansteure, wollte ich eigentlich noch den Gigante de Atacama anschauen, die grösste bekannte prähistorische anthropomorphe Abbildung, vermutlich einer Gottheit.

 

Es ist jedoch schon spät und ich bin müde, weshalb ich auf die Fahrt dahin verzichte und mein Hostal ansteure.


Ich erwache wie üblich mit dem Tageslicht, weil fast keine Unterkünfte über abdunkelnde Vorhänge verfügen.

 

Ein Jucken macht sich an meinem Arm bemerkbar und als ich mich kratze, sehe ich mehrere rote Flecken. Das bedeutet nichts Gutes, schiesst es mir durch den Kopf, während bereits das nächste Jucken von meinem Recht Fuss an mein Hirn gemeldet wird.

 

Auch hier zieht eine Linie mit roten Flecken über meinen Fussgelenk hinweg. Ich stehe auf und schaue mir den Rest meines Körpers an.

 

Verteilt auf diverse Stellen erblicke ich diese roten Flecken, die teils jucken. Das sieht nach Bettwanzen aus.

 

Dagegen machen lässt sich nicht viel, ausser so wenig wie möglich kratzen, damit sich die Stiche nicht entzünden und als Bad Luck vergessen, da ich während all meinen Reisen über die letzten 40 Jahre bis anhin keine Bekanntschaft mit diesen Blutsaugern machte.

 

Ich fahre heute ebenfalls früh los, weshalb meinen Gastgeber noch schläft. Ich schicke ihm deshalb eine Nachricht mit einem Foto meiner Stiche. Eine Rückmeldung werde ich wohl kaum erhalten.

 

Mein Ziel ist die Küstenstadt Arica an der Grenze zu Peru.

 

Die Strecke führt leider nicht mehr dem Meer entlang, sondern mitten durch die Wüste, was eher nach einer eintönigen Fahrt aussieht.

 

Der Wind hat sich bis auf weiteres verzogen und so brummt die Honda zufrieden in die Weiten der Wüste hinaus bis nach 50 km die Abbiegung in die Küstensiedlung Pisagua erfolgt.

 

Während der Salpeterblütenzeit war der Ort der grösste Hafen für den Abtransport des Salpeters und es lebten mehrere zehntausend Menschen hier.

 

Durch die Abgeschiedenheit des Ortes lastet zudem eine dunkle Vergangenheit über dem Ort, weil hier politische Gefangene in Konzentrationslager eingesperrt, gefoltert und ermordet wurden.

 

Bereits während des Salpeterkrieges sperrten die Chilenen die peruanischen Kriegsgefangen in Pisagua in Konzentrationslager unter erbärmlichen Bedingungen ein, weshalb viele von ihnen starben.

 

In den Siebzigerjahren wurde erneute ein Konzentrationslager des Pinochet Regimes im Ort eingerichtet, wo zeitweise bis zu 800 politische Gefangene eingesperrt und gefoltert wurden.

 

In den neunziger Jahren wurde durch diverse Hinweise ein Massengrab neben dem Ortsfriedhof entdeckt, in dem 19 Menschen lagen. Der salzhaltige Sand hatte die Leichen mumifiziert, wodurch ein Identifikation der Toten einwandfrei möglich war.

 

Für die Hinterbliebenen beendete dies eine lange Zeit der Ungewissheit und für die Armee und General Pinochet, der damals immer noch der Chef der Armee war, wurde es Aufgrund der klaren Fakten unangenehm.

 

Es dauerte jedoch bis ins Jahr 2016 bis endlich mehrere verantwortliche Generäle für die damaligen Gräueltaten verurteilt wurden.

 

Mit diesem Wissen steigt meine Neugier auf diesen Ort in dem heute lediglich 300 Leute leben und die Elektrizität nur aus Notstromaggregate erzeugt wird.

 

Die Teerstrasse ist in einem tadellosen Zustand und ich kann mit einem anständigen Tempo bis kurz vor die Ortschaft fahren.

 

Auf den letzten Kilometern weist die Strasse ein starkes Gefälle auf, weil das Plateau oberhalb der Küste auf 1'000 Meter liegt und ich die 1'000 Meter nun nach unten Rolle.

 

Dabei verläuft die Strasse eingeklemmt zwischen Dünen hindurch und schlussendlich einen steilen Berghang hinunter zur Ortschaft.

 

Wie schon bei Iquique gibt der Strassenverlauf großartige Weit- und Ausblicke auf die Küste und der kleinen Ortschaft preis.

 

Bereits von weit oben kann ich erkennen, dass die Mehrheit der Gebäude verfallen. Eines der grössten ist das Theater im Dorf, welches noch aus der Blütezeit der Siedlung stammt.

 

Kurz darauf halte ich beim Theater an und sehe, dass bei einigen Gebäuden lediglich die Aussenfassade noch steht und gestützt werden müssen.

 

Ich spaziere etwas herum und mache mich dann auf dem Weg zum Friedhof, der einige Kilometer weiter weg etwas oberhalb der Küste liegt.

Von den Gebäude der Konzentrationslager ist nichts übriggeblieben. Anstelle dessen steht eine Gedenkstätte und weist auf die schrecklichen Geschehnisse hin.

 

Die Strasse zum Friedhof ist geteert und lediglich die letzten paar hundert Meter sind eine Sandschotterpiste.

 

Der Friedhof hat etwas gespenstisches an sich, weil die vielen Holzkreuze und andere Aufbauten vom Wind und Sand gebeutelt sind.

 

Etwas weiter dahinter liegt die Gedenkstätte für die Toten aus dem gefundenen Massengrab aus der Pinochet Zeit.

 

Wieder zurück auf der schmalen Teerstrasse, folge ich ihr weiter den Hügel hinauf und erhalte oben eine super Aussicht auf die dahinter liegenden Buchten.

 

 

Da die Strasse noch weiterführt, rolle ich weiter in diese Richtung bis sie von einem riesigen Sandfeld verschluckt wird.

 

Eine Stunde später biege ich erneut auf die Panamericana nach Norden ab und fahre eine Stunde weiter bis zum Aussichtspunkt über die mächtige Chiza Schlucht, wo ich eine längere Pause einlege.

 

Der Wind meldet sich wie jeden Tag um die Mittagszeit zurück, was die Hitze etwas erträglicher macht.

 

Frisch gestärkt setze ich mich auf die Honda und folge weiter der Nr. 1, die ab hier in die Chiza Schlucht hinunterführt.

 

Die Ausmasse der Schlucht sind gigantisch und der ehemalige Fluss, der diese Schlucht formte, muss gewaltig gewesen sein.

 

Jetzt rinnt kein für mich sichtbares Wässerchen mehr durch das riesige Tal. Dafür bläst der Wind in voller Stärke durch die Schlucht, was mir das Gefühl gibt, dass ich in einem Windkanal unterwegs bin und dies für die nächsten dreissig Kilometer.

 

Ziemlich zerzaust gelange ich zur kleinen Siedlung Cuya, die unweit vom Meer entfern liegt und wo die Strasse eine U-Turn vollzieht, um in einer anderen Schlucht an deren Wände langsam wieder hochzusteigen.

 

Bevor es so weit ist, biege ich zu den beiden Skulpturen Jaillina Thaya, El Cantar del Viento ab.

 

Die beiden Figuren wurden von den Künstlern Paola Pimentel und Jhonny Vasquez entworfen und stellen zwei Mumien der Chinchorro Kultur dar. Wenn der Wind heftig durch die Skulpturen bläst, erzeugt er dadurch musikalische Klänge.

 

Obwohl ich das Gefühl habe, dass hierfür der Wind heute genug stark blasen sollte, höre ich keine Klänge. Macht nichts. Die Skulpturen als solches sind auch schön anzuschauen.

 

Zurück bei der Siedlung Cuya stoppt mich eine grosse Hinweistafel mit der Aufschrift Control de Policia por todos lo vehiculos.

 

Ich halte an und schaue mich um, weil kein Polizist auf der Strasse erkennbar ist.

 

Weiter vorne sehe ich einen Schalter und begebe mich dahin. Bevor ich jedoch eine Frage stellen kann, winkt mir der Polizist durchs Fenster zu, dass ich fahren soll.

 

Das lasse ich mir nicht zwei Mal zuwinken und laufe zurück zur Honda und kämpfe mich die letzten Meter gegen den Wind, bis die Strasse dreht und ich mit Rückenwind die nächsten Kilometer langsam aus der Schlucht herausgeblasen werde.

 

Einige Kilometer vor Arica tauchen die Presencias Tutelares Skulpturen am Strassenrand auf.

 

Sie wurden durch einen Künstler der örtlichen Kunstschule Ende der neunziger Jahre entworfen und gebaut.

 

Die Figuren sind auf Basis der alten Kulturen in dieser Region erschaffen worden und sollen die Kommunikation mit dem Universum fördern.

 

Anschliessend führt die Panamericana erneut in ein tiefes, breites Tal hinunter, in dem sich die Vororte von Arica ausbreiten.

 

Die braunen Häuschen gepaart mit der Wüstenlandschaft erzeugen ein utopisches Bild, wie auf einem anderen Planeten.

 

Zu meiner Unterkunft finde ich problemlos und liege alsbald auf dem Bett und hoffe, dass ich keine weitere Bekanntschaft mit blutsaugenden Bettgenossen mache.



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