Von Kegen nach Karakol
Tag 26 (Km 5'266)
Im Moment sehe ich durch mein Helmvisier so viel, wie durch die Milchscheibe einer Küchentüre in einer Altbauwohnung. Die Kombination Regen, Kälte und Atmen verursachen diese Sichtverschleierung. Nicht gerade optimal, fahre ich doch auf der Schotterpiste Richtung kirgisischer Grenze, die auf 2'000 Meter Höhe liegt. Fahren ist schon fast übertrieben. Vermutlich wäre ich mit Schieben genauso schnell.
Weit entfernt von der letzten Siedlung taucht der Grenzposten endlich auf. Auch hier ist der eigentliche Grenzposten durch eine Barriere abgeriegelt. Hier darf ich einem Soldaten meinen Pass zeigen. Erst dann erhalte ich die Erlaubnis 10 Meter weiter zum Grenzposten zu fahren. Viel los ist zum Glück nicht und die Zöllner haben trotz fehlendem Wetterschutz gute Laune. Sie bestaunen in erster Linie meine KTM. Ihre obligatorische Frage nach Waffen und Drogen vergessen sie dabei aber nicht. Die Passkontrolle benötigt ebenfalls nur fünf Minuten und schon geht es weiter zum kirgisischen Zoll, der gleich neben an ist. Hier läuft die Abwicklung sogar noch etwas schneller und ich schaffe beide Grenzübertritte in 30 Minuten. Neuer Rekord.
Dem Wetter sind Grenzen ziemlich egal und so regnet es weiter bis ich in Karakol ankomme. Beim Gästehaus steige ich völlig nass vom Motorrad und wer zeigt sich - die Sonne. Auch gut, so spaziere ich wenigstens im Trockenen ins Stadtzentrum für Geld zu wechseln und eine SIM Karte zu kaufen und meinen Bauch zu füllen.
Es bleibt noch Zeit für einen ausgedehnten Rundgang zum Markplatz, zur aus Holz erbauten Moschee und orthodoxen Kirche. Dabei begegnen mir mehr Touristen, als ich insgesamt in den letzten vier Wochen gesehen habe. Von hier starten viele Trekkingtouren, die anscheinenden beliebt sind.
Von Karakol nach Kochkar
Tage 27 - 28 (Km 5'546)
Mmmmm auf dem Frühstückstisch stehen frische Früchte, Brot, eine Art Lasagne, Jogurt und gut riechender Café. Das Guesthaus meint es gut mit mir. Da nehme ich mir doch etwas mehr Zeit.
Zurück im von der Sonne schön aufgewärmten Zimmer packe ich meine Sachen und ziehe meine Motorradhose an. Das fühlt sich an, wie wenn ich in nasse Badehose schlüpfen würde. Bei der Jacke ebenso. Die Handschuhe tropfen sogar noch. Da muss ich durch und hoffen, dass der warme Fahrtwind meine Sachen wie ein Föhn trocknen wird.
Den Issyk Nur See, den die Kirgisen gerne als ihr Meer bezeichnen, erblicke ich nach 50 km. Die andere Seeseite sehe ich wegen dem Dunst nicht, was auch bei mir den Eindruck erweckt, am Meer zu sein.
Gemächlich cruise ich dem Ufer entlang mit dem Ziel, in einem am See liegenden Jurtencamp zu übernachten. Das langsame Cruiser Tempo bewahrt mich davor, von den drei Polizeikontrollen, die ich passiere, angehalten zu werden. Die Bussen für Touristen sollen hoch sein.
Das Jurtencamp erreiche ich am frühen Nachmittag und verbringe den Rest des Tages am See und im OpenAir Restaurant. Abends wird das Nachtessen traditionell in einer grossen Jurte angerichtet und wir dürfen alle am Boden sitzen. Dabei versperren mir öfters meine Beine den Weg zum Teller.
Der gestrige Dunst hat sich verzogen und so leuchten heute die Schneeberge auf beiden Seiten des Seeufers in der Sonne. Traumhaft.
Kaum verlasse ich das Seeufer am Ende des Issyk Nur, dominiert die Wüste die Landschaft. Sie umzingelt auch den Stausee Orto Tokoy, der tiefblau leuchtend auftaucht. Ich bestaune eine Weile diese schönen Farbkontraste und fahre dann am Fluss Chu entlang nach Kochkar. Hier bleibe ich für heute und fülle meine Vorräte auf für die morgige Reise zum abgelegenen Song Kul See.
Von Kochkar zum Song Kul See und weiter nach Kazarman
Tage 29 - 30 (Km 5'851)
"Hey, dä chunt us Züri, hallo, hallo" höre ich hinter mir rufen, nachdem ich den Motor abgeschaltet habe, um die schöne Aussicht zu geniessen. Ich drehe meinen Kopf und sehe etwa 20 Meter hinter mir verdeckt durch einen Hügel eine Familie mit Fahrrädern stehen.
Sie erzählten mir, dass sie mit ihren Fahrrädern Kirgistan bereisen und soeben von Song Kul See kommen. Um den zu erreichen, mussten sie mindestens über einen Pass von 3'400 Meter Höhe und erst noch auf Schotterpisten. Das kostet doch einiges an Kraft und Motivation, vor allem für die Kinder. Die Drei sahen aber alle zufrieden und glücklich. Ich muss sagen, Hut ab vor dieser Leistung.
Keine 10 Minuten später radelt auch schon der nächste Schweizer daher. Wenn das so weiter geht, sehe ich den See heute nicht mehr.
Auf dem Weg zum Song Kul See steht mir der Kalmak Pass im Wege. Mit seinen 3'440 Meter ein hoher Pass. Die Strasse steigt deshalb steil an und windet über diverse Kurven den Berghang hoch.
Oben erwartet mich als erstes ein Gewitter, was auf dieser Höhe heftig ist. Es wird innert Kürze kalt und die Blitze fuchtelt in allen Variationen am Himmel herum.
Glückerweise dauern diese Unwetter nicht lange und so erreiche ich mein Jurtencamp trocken. Hier bekomme ich eine schöne Jurte für mich. Meine Sachen sind schnell verstaut und bald darauf stehe ich am See und geniesse die Ruhe auf 3'100 Meter.
Nach Sonnenuntergang, der einmalig war, wird es schnell fröstelnd kalt. Ich verziehe mich in meine Jurte und lege mich schlafen. Da platzt ohne anzuklopfen einer der Jurten Mitarbeiter herein, zündet das Licht an, es hat nur drei Stunden am Abend Strom, und heizt den Jurtenofen ein. Dass ich im Bett liege und schlafen möchte, interessierte in überhaupt nicht. Privatsphäre wird hier anders definiert, als bei uns.
Heute Morgen verlasse ich den See über den Moldo Ashu Pass, der als einer der schönsten in Kirgistan gilt. Die Aussicht, ein Traum und die Schotterstrasse, die im oberen Teil aus dem Berg gehauen wurde, atemberaubend.
Auf dem weiteren Weg nach Kazarman, eine Ortschaft, die im Winter oft von der Aussenwelt abgeschnitten ist, überquere ich noch weitere grössere und kleinere Pässe. Die Landschaftsbilder sind dabei einmalig. Für Unterhaltung auf der Strecke war auch gesorgt. So sprach ich mit einem Paar aus Frankreich, die sich mit dem Fahrrad hochkämpften, einem fahrradfahrenden Iren, der ein Jahr auf Tour ist oder ich versuchte zwei Kirgisen zu helfen, welchen der Keilriemen gerissen war und bald darauf lehnte ich einem Paar aus Belgien etwas Panzerband aus, damit sie den Riss im Kühler versuchen konnten abzukleben. Das macht das Fahren richtig abwechslungsreich.
Von Kazarman nach Osh
Tag 31 (Km 6'113)
Was ist denn jetzt los? Ich fahre auf einer nigelnagelneuen Teerstrasse, die unverhofft bei der Ortsgrenze von Kazerman beginnt. So gleite ich die ersten fünf Kilometer ruhig dahin, bis dann mit einem grösseren Absatz nach unten der Übergang auf die Schotterpiste kommt.
Zwischen mir und Osh liegen 260 km und der 3'000 Meter hohe Kaldama Pass. Die Schotterpiste zur Passhöhe ist nur während vier Monaten im Jahr geöffnet und wird kaum unterhalten.
Doch zuerst rüttelt die Wellblechpiste mal wieder kräftig mein Gehirn durch. Anstatt aufwärts führt die Piste, die immer sandiger wird, nach unten zum Urut Bashi Fluss. Bei Regen wäre das keine leichte Abfahrt geworden. Unten gibt es dafür eine Brücke und danach verläuft die Strecke etwas dem Fluss entlang. Hier kommen mir drei Trucks mit Anhänger entgegen. Es werden nicht die letzten sein. Unglaublich, über was für Strassen die Fahrer ihre Lastwagen bewegen.
Die Auffahrt zu Pass beginnt zuerst in grösseren Schlaufen wird dann immer enger und kurviger. Der Belag wechselt sich zwischen Sand, Kies und Schotter regelmässig ab.
In einer Kurve steht ein Motorrad auf der Seite, auf dem ein Paar sitzt und Wasser trinkt. Ein Grund für mich ebenfalls eine Trinkpause mit Unterhaltung einzulegen. Sie sind in London gestartet und sind auf dem Weg nach Japan und dann weiter nach Asien bis Australien. Das gibt es noch ein paar Kilometer zu fahren für sie.
Je weiter die Strasse ansteigt, umso dünner wird die Luft. Das bekommen auch die beiden tschechischen Fahrradfahrer zu spüren, die kurz vor der Passhöhe luftringend pausieren. Das Gespräch verlief entsprechend etwas kurz.
Gerüttelt und geschüttelt oben angekommen bietet sich mir ein Panorama wie in den Alpen an. Jetzt ist für mich nachvollziehbar, wieso es Menschen gibt, die Kirgistan die Schweiz Zentralasiens nennen. Man könnte natürlich die Schweiz auch Kirgistan Europas nennen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Runter ist die Strasse in einem besseren Zustand und ich komme gut voran. Nach einer der etlichen Haarnadelkurven steht plötzlich ein ganze Gruppe Fahrradfahrer zum Schwatz auf der Piste. Ich muss sogar anhalten, weil ich mich seitlich nicht an ihnen vorbei schlängeln kann. Danach folgen nochmals fünf Personen auf Fahrrädern. Es scheint, dass Kirgistan das Mekka für hartgesottenen Fahrradfahrende ist.
Ich nähere mich der Ortschaft Dschalalabad, die bereits im flachen Fergana Tal liegt. Hier bin ich noch auf 760 Meter und die Temperatur steigt auf 40 Grad an. Mittlerweilen fahre ich auch wieder auf Teer. Nur leider durch unzählige, kilometerweite, gesichtslose Ortschaften und Siedlungen hindurch. Die Tempolimiten liegen abwechselnd bei 20, 40 oder 50 km/h. Der Verkehr hat zudem massiv zugenommen und ist mit Lastwagen, die beim Gas geben die ganze Umgebung schwarz einnebeln, dicht bestückt. Mit der schnellen KTM könnten ich mich eigentlich gut durch den Verkehr bewegen, wäre da nicht die Polizei, die nur darauf warten, dass ein Tourist wie ich zu schnell unterwegs ist.
So kämpfe ich in der brütenden Hitze gegen meine Gashand an, die liebend gerne am Griff kräftig drehen würde.
Ziemlich KO erreiche ich zwei Stunde später das Guesthouse in Osh und betrinke mich als erstes mit zwei Liter Wasser.
Osh
Tage 32 & 33 (Km 6'113)
Der Mitarbeiter vom MuzToo kämpft mit dem Michelin Anakee Wild Hinterreifen. Trotz aller Versuche hat er ihn bis jetzt nicht von der Felge gebracht. Mit der zusätzlichen Kraft eines Kollengen schafften sie es dann doch noch. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass sie eine Reifenwechselmaschine besitzen. Aber nein, sie montieren von Hand pro Tag an die 3 - 6 neue Reifen auf unzählige Motorradmodelle.
Mit dem Michelin Reifen hätte ich noch locker 2'000 km fahren können. Da mir Vergleichswerte fehlten, ich verwende den Reifen zum ersten Mal, konnte ich nicht einschätzen, wie lange er halten wird. Darum habe ich bereits vor der Abreise bei MuzToo, eine von einem Schweizer gegründete Motorradwerkstatt in Osh, neue Reifen reserviert.
Ein Schraubencheck ist ebenfalls nötig, schüttelte es die KTM über die letzten 500 km Schotterpisten ziemlich durch. Bis auf eine fehlende Schraube, ist soweit alles in Ordnung.
Meine Kleidung, im speziellen die Motorradklamotten, benötigen auch dringend einen Waschservice. Jetzt sieht sie sauber aus und vor allem duftet sie wieder gut.
Der Rest der Zeit verbrachte ich mit etwas Proviant für die morgen startende Pamir Route zu besorgen, eine feine Pizza zu essen mit einem schaumigen Cappuccino zum Dessert und Nichtstun. Das macht zwischendurch richtig Spass.
Von Osh nach Sarytasch
Tage 34 (Km 6'229)
Ich bin auf 3'170 Meter beim Ortseingang der Siedlung Sarytasch und im Hintergrund ist das Pamirgebirge mit Berspitzen bis 7'500 Meter zu sehen - gewaltig.
In Osh war es heute Morgen bereits um 09.00 Uhr über 30 Grad warm. Schwitzend durchquerte ich die Stadt und folgte dem ausgetrockneten Flussbeet des Mashrapsay.
Langsam wird das Tal enger und ich gewinne stetig an Höhe. Überraschend geht es dann wieder runter bis zur schön gelegenen Ortschaft Gültschö.
Die Berge links und rechts der Strecke werden ab hier massiver und höher. Zudem geht es wieder auffährts und bald erreiche ich die Passstrasse zum 3'615 Meter hohen Taldyk Pass.
Die Aussicht auf der Passhöhe ist nichts spezielles. So fahre ich ohne Stopp weiter und bin kurze Zeit später im grüne Alaital. Die Strasse zieht sich in einer grossen Schleife durch das schöne Tal bis zur Ortschaft Sarytasch.
Obwohl es erst 13.30 Uhr ist, bleibe ich in dieser Ortschaft. So habe ich etwas Zeit, mich anzuklimatisieren, werde ich doch die nächsten Tage immer über 3'000 Meter bleiben.
Langweilig wird es mir hier oben nicht, denn das Guesthouse ist voll mit anderen Reisenden.