Berge, Schluchten und die Panamericana

Reisepläne ändern sich bei mir oft, auch während ich unterwegs ist. Obwohl ich zuerst nach Alaska wollte, erscheint mir der Weg dorthin heute zu lang. Um bis zum Winter 2024 den Norden zu erreichen, müsste ich meine Route zeitlich genau planen – was mir nicht behagt.

 

Die Einreise in die USA ist zudem schwierig, weil ich auf meiner Motorradreise von der Mongolei in die Schweiz durch den Iran gefahren bin. Deshalb brauche ich jetzt ein Visum, da Iranreisende kein ESTA beantragen dürfen.

Ich könnte riskieren, einfach ein ESTA zu beantragen und hoffen, dass der Zoll nichts von meiner Iranreise bemerkt, selbst wenn mein aktueller Pass keine Iran-Stempel hat. Aber ich kann mir beim amerikanischen Zoll nie sicher sein.

 

Hinzu sind die Kosten für Reisen in den USA und Kanada seit der Coronapandemie nochmals stark gestiegen, was mein Budget belasten würde. Das wäre okay, wenn Alaska mein absolutes Ziel wäre. Aber da das nicht so ist – ich habe die Westküste der USA schon oft bereist und war als Tourguide in British Columbia unterwegs – halte ich mein Reiseziel offen und werde einfach bis Februar/März 2024 drauflosfahren, um zu sehen, wohin es mich verschlägt.

 

Zurück in Lima wohne ich wieder im selben Hotel in Miraflores wie vor zwei Monaten. Meinen Antrag auf Freigabe meines Motorrads an die SUNAT, die peruanische Zollbehörde, habe ich bereits von Zürich aus geschickt, aber bisher keine Antwort erhalten. Es muss extra eine Mitarbeiterin der SUNAT zum Parkplatz kommen, die meine Papiere mit dem Motorrad prüft und mir dann ein aktuelles T.I.P mit den verbleibenden Tagen übergibt. 

Mein Kontakt in Peru, wo mein Motorrad steht, war unterstützend bei der Unterbrechung des T.I.P, zeigt sich jetzt aber leider von einer anderen Seite. Ohne ständiges Nachfragen würde er einfach warten und behaupten, die Zollbehörde arbeite langsam. Durch den Kontakt eines anderen Motorradreisenden bei der SUNAT bekomme ich nach einer Woche Wartezeit endlich einen Termin für die Freigabe. Bis dahin vertreibe ich mir die Zeit mit Sightseeing und Treffen mit anderen Reisenden in Lima. Über verschiedene WhatsApp-Gruppen finde ich leicht heraus, ob andere Reisende vor Ort sind.

 

Am Tag der Freigabe fahre ich mit einem deutschen Biker, der sein Motorrad am gleichen Ort hat, zu unserem Parkplatz. Die Fahrt durch das Verkehrschaos in Lima dauert doppelt so lange wie geplant, aber zum Glück geht es dem SUNAT-Beamten genauso, also sind wir trotz Verspätung rechtzeitig vor Ort. Der Papierkram ist schnell erledigt, aber ich bekomme nicht die restlichen 12 Tage meines ursprünglichen temporären Imports, sondern nur 9. Der Beamte erklärt, dass mein Antragsdatum erst ab dem Zeitpunkt angerechnet wird als die Unterlagen im System korrekt erfasst wurden. Wegen des drei Tage verzögerten Polizeiberichts werden mir nun diese Tage abgezogen. Das bedeutet leider, dass ich meine geplante Route durch die Anden nicht fahren kann, da die zusätzlichen Tage nicht reichen. Wegen der Regenzeit in den Bergen brauche ich Reserve-Tage, da ich immer mit Straßensperrungen oder Problemen rechnen muss. Also nehme ich eine Route, die teilweise über die Panamericana führt.


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Ich bin erleichtert, Lima hinter mir zu lassen, aber der Weg durch das Verkehrschaos nach Norden ist ein harter Kampf. Die Fahrweise hier erfordert meine volle Konzentration, um nicht überfahren zu werden. Zu passiv zu sein ist keine Option, sonst komme ich keinen Meter voran. Die Hupe ist wichtiger als der Blinker, was zu regelmäßigen Hupkonzerten an Kreuzungen führt – viel Lärm, wenig Effekt.

 

Jeder drängt in jede noch so kleine Lücke und blockiert sich gegenseitig. Die größte Gefahr gehen von Fahrern aus, die plötzlich und ohne Warnung abbiegen. Manchmal biegt sogar auf einer dreispurigen Straße jemand von ganz rechts nach links ab, zwingt alle zur Vollbremsung und das ohne mit der Wimper zu zucken. Die Hupen sind die Antwort der Bremsenden auf dieses unverantwortliche Verhalten. Es gibt Abschnitte, wo ich zwei bis drei Kilometer ungehindert fahren kann, nur um dann an einer Kreuzung wieder für 10 Minuten festzustecken. Nach zwei Stunden habe ich dieses Chaos unbeschadet überstanden und düse auf der Panamericana die nächsten 200 Kilometer nach Norden.

 

Mein Ziel sind die Cordilleras Blancas, über die zwei Straßen führen und einen Art Rundkurs bilden. Der Blick von den bis zu 5.000 Meter hohen Pisten auf die umliegenden Gletscher und Lagunen verspricht toll zu sein. Aber ob ich diese Rundfahrt machen kann, entscheidet das Wetter. Die Regenzeit hat bereits begonnen, und es regnet täglich in Strömen. 

Bei Paramonga verlasse ich die Panamericana und biege auf eine ruhigere Straße ins Landesinnere ab. Die kurvenreiche Strecke führt durch das Tal, das der Rio Fortaleza geformt hat. In Chasquitambo, der letzten Ortschaft vor dem Anstieg in die Anden, suche ich mir eine Unterkunft. Ich halte beim ersten Hotel am Dorfeingang an und frage nach einem Zimmer. Die Frau schüttelt den Kopf und erklärt, dass sie ausgebucht seien. In dieser abgelegenen Gegend ausgebucht? Ich frage, ob vielleicht ein Fest oder etwas Ähnliches stattfindet. Sie erzählt, dass kürzlich eine neue Mine in der Nähe eröffnet wurde und viele Minenarbeiter die Zimmer belegen.

Sie schickt mich ins Dorfzentrum, wo es weitere Unterkünfte geben soll. Kurz darauf halte ich bei der nächsten Hospedaje und höre von der Frau hinter der Theke die gleiche Antwort. Auch hier sind sie ausgebucht. Ich schüttele ungläubig den Kopf und frage, ob sie vielleicht andere Unterkünfte kennt. Sie nickt, holt ihr Handy heraus und tätigt einen Anruf. Ich höre sie "Ja" sagen und erfahre, dass es noch ein freies Zimmer gibt. Also mache ich mich auf den Weg.

 

Ein wenig später stehe ich vor einer neu erbauten Unterkunft mit Restaurant und bekomme für CHF 15.00 ein großartiges Zimmer. Lustig, wie sich eine anfänglich unglückliche Situation in etwas Positives verwandeln kann. Abends genieße ich ein leckeres Reisgericht mit Huhn und Gemüse im hauseigenen Restaurant.


Gestern musste ich meine gesamte Ausrüstung mit ins Zimmer nehmen, da meine Honda für einmal draußen vor der Unterkunft parkt. Die Besitzerin der Hospedaje meinte, meine Enduro sei vor dem Haus sicher, aber meine Ausrüstung könnte gestohlen werden. Leider gibt es auch hier Diebstähle. Es dauert nun heute Morgen eine Weile, bis alles wieder an seinem Platz verstaut und gesichert ist.

Währenddessen bemerkte ich, wie etliche Lastwagen durch das kleine Dorf brummen, in beide Richtungen. Wahrscheinlich wegen der wichtigen Route nach Huaraz, der Regionshauptstadt, und möglicherweise auch wegen der neuen Mine.

 

Nach einer halben Stunde startete ich meinen Honda-Motor und machte mich auf den Weg zur Passhöhe auf 4.000 Metern. Regelmäßig kommen mir Konvois von fünf Tanklastwagen entgegen, die alle von einem vorauseilenden Fahrzeug siganlisiert werden. Auf meiner Seite überhole ich im ähnlichem Rhythmus vollbeladene LKWs, die langsam den Pass hinauf kriechen. In einer der Haarnadelkurven bleibt einer dieser schwer beladenen Trucks stecken, sodass kaum Platz für andere LKWs blieb, um die Kurve zu nehmen. Dennoch schaffen die es mit ihrer Präzionsfahrweise. Je höher ich komme, desto bewölkter wird der Himmel. Der Fahrwind wird alle paar hundert Meter spürbar frischer, was mich zwingt, anzuhalten und mich wärmer anzuziehen.

Normalerweise gibt es in den Anden keine Pässe mit einer Passhöhe wie bei uns, sondern man erreicht ein Plateau, das sich über viele Kilometer erstreckt. So auch heute.

Eine löchrige Teerstraße führte mich durch das Gebiet auf 4.000 Metern Höhe in Richtung Huaraz. Dabei zeigen sich die ersten Schneeberge der Cordillera Blanca. Leider werden es die einzigen sein.

 

In Huaraz angekommen, entscheide ich mich, weiterzufahren. Die Andenstadt wirkt zu chaotisch und schmutzig auf mich. Gestern hatte ich bei der Routenplanung zwei bis drei mögliche Unterkünfte in den später folgenden kleineren Siedlungen ausgesucht, von denen ich die erste ansteure. Doch bevor ich ankomme, öffnet der Himmel seine Schleusen über mir. Als ob das nicht genug wäre, endete der Regen mit einem fünfminütigen Hagelsturm. Zum Glück trage ich meinen Helm. Ziemlich durchnässt erreiche ich die Unterkunft. Sie ist von außen von hohen Mauern umgeben, aber dahinter befindet sich ein schöner Innenhof, um den sich die Zimmer gruppieren. Hier gefällt es mir und ich bleibe. Bald darauf sitze ich unter der Veranda und knabbere einen Snack, während der Regen erneut heftig vom Himmel prasselt.


Wie befürchtet, lässt mich die Regenzeit nicht auf den zwei Passstrassen über die Cordillera Blancas fahren. Morgens ist zwar jeweils für ein paar Stunden bewölkt angesagt. Gegen Mittag übernehmen dann gemäss Radar die dunklen Gewitterwolken das Geschehen. Keine guten Bedingungen, um auf 5'000 Meter hinaufzufahren. Warten auf regenfreie Tage ist keine Option, also beschließe ich, stattdessen durch den bekannten Canyon de Pato zu fahren – eines meiner ersten Highlights, das ich vor ein paar Jahren für eine Motorradreise durch Peru ausgewählt habe. Ich bin noch unsicher, ob ich nach dem Canyon weiter durch die Anden nach Norden fahren oder über die Panamericana reisen soll, als eine Nachricht von dem deutschen Motorradpaar, das ich in Lima kennengelernt habe, auf WhatsApp auftaucht. Sie sind einige Tage vorher die Strecke durch die Anden gefahren und berichten von einer 80 Kilometer langen Baustelle, die sie auf einer schlammigen Piste umfahren mussten – kein Vergnügen, wie sie sagen. Also entscheide ich mich, zurück an die Küste zu fahren.

 

Der Canyon de Pato ist bekannt für seine Straßenführung mit 35 Tunneln durch die enge Schlucht. Die Straße ist größtenteils einspurig, aber trotzdem befahren von kleineren Lastwagen und Bussen. Ich bin gespannt auf die Fahrt und freue mich, dass die Sonne einige Lücken in der Wolkendecke gefunden hat.

 

Als ich den ersten dunklen Tunnel erreiche und in die Schlucht einfahre, bin ich erleichtert, dass die Piste auch in den Tunneln trocken ist. Andernfalls wären die Durchfahrten bei dem schlechten Licht schwierig. Normalerweise wäre die Straße geteert, aber durch zahlreiche Erd- und Steinrutsche sind jetzt Schotterabschnitte entstanden, die aber technisch einfach zu fahren sind. Einige der Tunnel haben Kurven, weshalb ich nicht sehen kann, ob von der anderen Seite Gegenverkehr kommt. Deshalb hupe ich immer mehrmals, wenn ich in einen solchen Tunnel einfahre. Nach einer Pause an einem Ausweichpunkt vor einem Tunnel setze ich meine Fahrt fort und sehe kurz nach der Tunneleinfacht plötzlich zwei Lichter vor mir auftauchen. Mist, ich muss zurück, kann die Maschine mit den Füssen nicht zurück drücken, weil das Hinterrad in einem Loch steht. 

Ich steige ab und schiebe das Motorrad zurück ans Licht. Dann kommt mir ein kleiner Lastwagen entgegen, an dem ich im Tunnel wohl nur mit Mühe vorbeigekommen wäre. Die peruanischen Fahrer bieten kaum Hilfe an, sie bleiben auf ihrer Spur, und ich muss sehen, wie ich an ihnen vorbeikomme.

 

Nach dem engsten Teil der Schlucht passiere ich das Wasserkraftwerk Hidro Canon de Pato. Die Arbeiter wohnen direkt dort, was das Kraftwerk ein wenig wie ein Dorf aussehen lässt. Ab hier ändert sich die Landschaft, und die Berge faszinieren mich mit ihren verschiedenen Farben. Die auftauchenden dunklen Wolken verstärken dieses Schauspiel noch.

 

Vor mir liegen weitere 120 Kilometer durch die Schlucht des Rio Santa. Dabei passiere ich unzählige Bereiche, die durch Erdrutsche verschüttet wurden und jetzt auf teils engen Schotterpassagen umfahren werden müssen. Einmal fehlt sogar die ganze Straße, die gleich nach einem Tunnel in die Tiefe gestürzt ist. Die Umfahrung führt mich direkt zum reißenden Fluss hinunter, vorbei an Straßenarbeitern, die eine neue Verbindung schaffen. Der Fluss und die Straße winden sich in großen Schleifen weiter. Plötzlich bläst mir nach einer solchen Schleife ein starker Wind entgegen. Ab hier heißt es, gegen den Wind zu fahren. Gut durchlüftet erreiche ich bei der Ortschaft Santa die Küste und staune, dass mich hier mitten in der Wüstenküstenregion Reisfelder empfangen. Was für ein farblicher Kontrast.

 

Meine gewählte Unterkunft liegt in der Kleinstadt Chimbote, einige Kilometer südlich von hier. Bevor ich zum Hotel fahre, lockt mich ein Weg hinauf zu einem Aussichtspunkt über die Küste, die Stadt und die Insel Blanca. Den Abend lasse ich bei einem Spaziergang am Malecon ausklingen und decke mich anschließend beim Supermarkt mit Snacks für morgen ein.


 Heute tue ich das, was ich eigentlich in Peru vermeiden wollte – einen ganzen Tag auf der Panamericana fahren. Das wird kein Highlight meiner Reise durch Peru sein, aber ich kann dadurch etliche Kilometer zurücklegen und dadurch vielleicht später im Norden noch einmal in die Berge fahren. Das werde ich spontan entscheiden, je nach Wetterlage.

 

Landschaftlich erwarten mich keine großartigen Anblicke. Daher habe ich ausnahmsweise auf Fotos verzichtet, stattdessen aber ein Video zusammengeschnitten. Das zeigt eindrucksvoller, wie eine Fahrt auf der Panamericana verläuft. Den korrupten Polizisten, ein Problem auf der gesamten peruanischen Küstenstraße, habe ich leider nicht auf Video. Er fuhr eine Weile hinter mir her und überholte mich dann rechts, um mir gleichzeitig mit einer Handbewegung ein Zeichen zum Anhalten zu geben.

Natürlich halte ich an und warte, bis er bei mir steht. Es stellt sich schnell heraus, dass ich gegen keine Verkehrsregel verstoßen habe, aber er etliche Details über mein Motorrad wissen will. Unter anderem fragte er, ob ich Öl dabeihabe, das ich ihm als Geschenk überlassen könnte. 

Auf diese Frage tue ich erst einmal so, als würde ich ihn nicht richtig verstehen, und bitte ihn darum, genauer zu erklären, was er möchte. Nachdem ich das drei Mal wiederhole, merkte er, dass er nicht weiterkommt. Dann sagt er beiläufig, dass er lediglich nach einem Geschenk frage und falls ich kein Öl hätte, sei das in Ordnung und ich könne jetzt weiterfahren.

Es muss schon einiges nicht stimmen in Peru, dass mich ein Motorradpolizist anhält und nach Öl für sein Motorrad fragt.

Ich fahre dann weiter, worauf er mir noch eine Weile folgt. Den nötigen Tankstopp lege ich erst ein, als er weg ist. Sonst müsste ich ihm vermutlich eine Tankfüllung bezahlen.

 

Eindrücklich ist ebenfalls, dass mir mindestens fünf Motorradreisende entgegenkommen sind, plus zwei Campingfahrzeuge. Das sind mehr Begegnungen an einem Tag als die letzten sechs Reisemonate zusammen. Für einem Smalltalk reicht es leider mit keinen, da viel zu viel Verkehr herrscht oder die Strasse vierspurig ist und man nicht einfach die Seite wechseln kann. In Chiclayo angekommen, lege ich einen Ruhetag ein und plane meine weitere Route bis nach Ecuador. 



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